Waren die ersten zwei Wochen noch einigermaßen entspannend und ließen Zeit für das Eingewöhnen, hatte es die letzte Woche doch in sich. Bis die Sprachkenntnisse auf einem gut nutzbaren Niveau angekommen sind, gibt es sonst mal etwas mehr, mal etwas weniger zu tun – viel Zeit widmen wir dem Austausch mit Schülern, Studenten und Mitarbeitern von Schulen und Einrichtungen, die mit dem Roten Kreuz zusammenarbeiten sowie den übrigen Bekannten.
Die Reise hierher – in das etwa 2200 km entfernte Lugansk – hat insgesamt 18 Stunden in Anspruch genommen. Das ging vergleichsweise schnell, bedenkt man, dass mit dem Zug aus Lugansk die Reise in die Hauptstadt 16 Stunden, die Reise nach Odessa sogar bis zu 20 Stunden dauert. Aber das ist „normal“.
Aus der Heimatstadt Genthin ging es zum Flughafen Berlin/Tegel, mit dem Flieger weiter nach Riga und nach kurzem Aufenthalt auf einem vollkommen von Nebel umhüllten Flughafen, an dem am 08. November nicht ein einziger Baum noch ein Blatt trug, weiter nach Kiew. Hier sah man zu gleicher Zeit am Flughafen Borispol bei angenehmen 16° C noch viele bunte Blätter an den Bäumen und die Menschen teilweise in kurzer Kleidung. Die Terminals glichen Bahnhofshallen, die nur über einigermaßen holpriges Gelände zu erreichen sind. Nach sieben Stunden Aufenthalt ging es erst am Abend mit der zweiten Freiwilligen, die ihren Dienst beim Roten Kreuz in Lugansk ableistet, weiter zum Zielflughafen: Lugansk.
Meine Unterkunft hier ist ein gemütliches Zweimannzimmer in einem Wohnheim, dass zur angrenzenden Berufsschule gehört. Die Einrichtungen sind auf die notwendigsten Funktionen beschränkt. Dafür gibt es Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe.
Für die übrigen Entfernungen nutzt man typischerweise Marschrutki, Kleinbustaxis, mit denen man für pauschal 1,75 Hryvnia (knapp 16 Ct.) auf der jeweiligen Route durch die gesamte Stadt kommt. Alternativen sind die Straßenbahn, der Trolleybus (elektrisch angetriebene Oberleitungsbusse), der herkömmliche Bus und das Taxi.
Für die Benutzung der Marschrutki sind Grundkenntnisse der russischen Sprache unabdingbare Voraussetzung, denn die Haltestellen sind zwar oft als solche gekennzeichnet, tragen jedoch keine Namen. An einen Plan, auf dem die Routen oder Haltestellen oder gar deren Namen dargestellt wären, ist hier schon gar nicht zu denken. Sagt also jemand: „Nehmen Sie die 117 zur Haltestelle Kokulni Theater“, so ist der nutzbare Wert dieser Aussage – anders als in Deutschland – ausgesprochen gering. Von einer Situation, in der man lediglich den zu erreichenden Ort kennt, ganz zu schweigen.
Nach 40 Minuten Fahrt quer durch die Stadt komme ich an einem Gebäude vorbei, dass ich mir bei der letzten Fahrt als Zeichen für die nahende Haltestelle gemerkt habe. Also schnell nach vorn gedrängelt und beim Überreichen der 1,75 Hryvnia den Fahrer nach dem Namen der Haltestelle gefragt. Sein Gesichtsausdruck entspricht meinen Erwartungen und er nuschelt entsprechend desinteressiert den Namen der Haltestelle. Trotz seiner Ungeduld frage ich also noch einmal nach und verstehe: „плошадь ленина“ (Leninplatz). Ich wiederhole, warte auf sein Nicken und steige aus. Das muss ich mir jetzt nur noch merken, oder beim nächsten Mal hoffen, dass ich einen Sitzplatz habe und damit in der Lage bin, das Gebäude, das mir Hinweis für die nahende Haltestelle ist, zu sehen.Das ist wohl, was man unter "Kulturschock" versteht. Komischer Typ, dieser Deutsche, der nur wenige Brocken Russisch spricht, die Namen der Haltestellen nicht kennt und alles immer sooo genau wissen will. Warum nur?